Aphoristisches
Beim Blättern in alten Zeitschriften und Zeitungen stößt man hin und wieder auf eine Auswahl von Sentenzen und Quintessenzen – oder, wie Arthur Eloesser seine zugespitzen Reflexionen selbst nannte: „Salzkörner der Erfahrung“. Noch in den 1960er Jahren konnten Leser des Berliner Tagesspiegels gelegentlich eine Rubrik mit Aphorismen Eloessers finden. Wir nehmen diese Tradition wieder auf, sammeln verstreut Gedrucktes und blenden zudem einige jener, wie Max Osborn sie nannte, „voll belichteten Sätze“ aus Kritiken und Büchern Eloessers ein.
SALZKÖRNER DER ERFAHRUNG
Deutschland war immer ein etwas unauffindbares Land. Für die anderen und für uns selbst.
Es ging in den letzten Jahren ein stiller Wahnsinn der Loyalität um, und ich habe Leute gekannt, die sich mitverblöden ließen, obgleich sie es gar nicht nötig hatten.
Noch schlimmer, als von großen Herren ist es, von kleinen Leuten regiert zu werden.
Die Welt vergißt schnell, besonders wenn sie ein Schlagwort in den Ohren hat.
Wer das Volk nicht früh kennengelernt hat, als Kind unter Kindern, der wird es überdies nie ganz verstehen, und wenn er Abgeordneter werden sollte.
Die Eitelkeit, selbst die harmloseste, verbindet die Menschen; sie schafft, wenn auch stumme, gesellschaftliche Beziehungen, weil sie nur vom Vergleichen leben kann, weil sie ein Umsehen und auf sich zurückbeziehen fordert.
Es gibt keine boshafteren Gedanken als die der Sanftmütigen und Geduldigen.
Großherzig ist feiner als gutherzig, und hartherzig ist feiner als engherzig.
Es gibt Menschen, die die Tatsache ihrer Existenz nicht ohne Rührung betrachten können.
LITERATUR IN DEUTSCHLAND
Wir haben so wenig festen Besitz, so wenig stützende Tradition, daß jeder neue Schriftsteller für sich von vorn anzufangen scheint.
Deutschland hatte originale Schöpfer, die sich gelassen in die Liste der Unsterblichen einschrieben, aber es hatte kein literarisches Klima.
Welche Vermessenheit zu dichten, in der Schöpfung noch eine zweite Schöpfung, in der Täuschung noch eine Täuschung zu wollen!
Der richtige Dichter erfindet immer so wenig wie möglich.